Manchmal postet man ein Foto auf Instagram von einem Whiteboard, auf dem stehen drei Worte. Der Satz, den ich gerade geschrieben habe, hieß erst: Manchmal postet man ein Foto auf Instagram von einem Whiteboard, auf dem drei Worte stehen. Fast gleich. Nur anders. Erst stand „stehen“ hinten, dann „Worte“. Ich halte nicht sehr viel von formelhaftem Denken, wenn es ums Schreiben geht, Syd Field ist mir zu mathematisch, Robert McKee ist super, der kommt von der psychologischen Seite, und Christopher Vogler macht Campbell-Ansätze für alle verständlich. Das war’s dann aber auch schon mit Büchern und Theoremen, die ich empfehlen würde, ich möchte gerne, dass Menschen aus ihrem Herzen schreiben oder aus ihren Träumen oder aus ihrem Bauch. Auf jeden Fall nicht aus einem Buch.
Irgendwann allerdings habe ich mal gelesen, dass das stärkste Wort in einem Satz hinten stehen soll. Denn dort explodiert es. Stopp. Geht besser. Irgendwann allerdings habe ich mal gelesen, dass das stärkste Wort in einem Satz hinten stehen soll, damit es dort explodiert. Wie formelhaft oder theoretisch darf Schreiben sein? Keine Ahnung. Ich habe irgendwann für mich beschlossen, dass ich aufhöre, Bücher über das Schreiben zu lesen, und die Zeit lieber nutze, um zu schreiben. Und zwar keine Bücher über das Schreiben, sondern Bücher über das Leben. Beginnen tut das oft an Tafeln. Womit wir wieder beim Anfang dieses Textes wären. Manchmal postet man ein Foto auf Instagram von einem Whiteboard, auf dem stehen drei Worte. Der Satz, den ich gerade geschrieben habe, hieß erst: Manchmal postet man ja… Nein, Scherz. Dramaturgische Klammer zu.
In meinem Büro hängen zwei riesige Tafeln an der Wand, aus diesem Material, von dem ich keine Ahnung habe, wie es heißt. In das man Stecknadeln stecken kann, um Karteikarten dran zu pinnen. Plot-Tafeln nenne ich die, jede ist so groß, dass locker ein 90-Minüter dran passt, obwohl ich ja viel mehr Serie schreibe als 90-Minüter, aber das hat den Vorteil, dass an den Tafeln dann noch Platz ist für Recherche-Material, Location-Listen und Casting-Moods. Neben der linken von diesen Stecknadel-Tafeln hängt ein Whiteboard an der Wand. Dort werden meine Geschichten geboren. Sie starten mit einer Idee, die von überall herkommen kann: Aus einem Zeitungsartikel, von einem Gesprächsfetzen auf der Straße – aus einem Traum. Manchmal als Wort. Manchmal als Frage. Manchmal als Figur. Die Figur bekommt dann einen Namen, manchmal bekommt die Figur einen Freund. Oder einen Antagonisten. Und meistens ein Adjektiv, das später in der potenziellen Geschichte vielleicht die Auflösung ist, vielleicht der Midpoint oder vielleicht der Plotpoint am Ende des ersten Akts.
Auf meinem Instagram-Foto steht auf dem Whiteboard: Thomas – tote Frau – tote Nutte. Und: „Maske“. Das war damals die Geburt einer Geschichte, die inzwischen angewachsen ist zu einem Exposé (die inzwischen zu einem Exposé angewachsen ist. – Nicht so gut). Am Dienstag werde ich dieses Exposé mit der Produktion und mit dem Sender besprechen. Danach weiß ich, ob sich die Stecknadel-Tafel mit Karteikarten füllen wird oder ob ich das Whiteboard abwischen muss und mich wieder darüber ärgern, dass Whiteboardmarker selbst mit Whiteboard-Cleaner nur am Anfang abgehen, sich aber nach der dritten oder vierten Brainstorming-Runde in das Whiteboard fressen, als wären sie Gedanken an eine lange vergangene traumatische Zeit. Letzteres betrifft nicht mich, sondern Thomas, die Figur auf dem Whiteboard. Die mit der toten Nutte. Und mit der Maske. Für meine letzte große Produktion, in der ich in fünf Tagen einen 90-minütigen Kinofilm inszeniert habe, der ein einziges Mal lief (im Kino International) habe ich mit einem 3D-Drucker eine Maske drucken lassen. Vom Gesicht des Hauptdarstellers. Als mein Zwillingsbruder (Regie 2nd Unit) diese Maske aufgesetzt und mich damit angeguckt hat, was das ungefähr der gruseligste Moment meines Lebens. Er sah nämlich nicht nur so aus wie mein Hauptdarsteller – er WAR mein Hauptdarsteller. Dieser Moment hat mich nicht wieder los gelassen. Und mich inspiriert zu der Geschichte, die auf dem Whiteboard ihren Anfang nahm („Maske“). Und die am Dienstag besprochen wird.
Ich hoffe sehr, dass Produktion und Sender mitgehen. Ich möchte die Geschichte mit der Maske so gerne erzählen. Im Moment hat mein Instagram-Foto vom Whiteboard 233 Likes. Wenn alles gut geht, wächst die Zahl vielleicht an auf 5 Millionen. Nämlich dann, wenn aus der Idee ein Drehbuch wird. Aus dem Drehbuch eine Serienfolge. Die nächsten Herbst in deutschen Wohnzimmern läuft. Manchmal kann ich gar nicht glauben, was für ein Glück ich habe mit diesem Job: Zeitung lesen. Menschen zuhören. Träumen.
Und dann schreibe ich Geschichten.