Ich sitze gerade vor dem „Damensalon“ in Neukölln, einer Bar, die so perfekt ist, dass sie sich inzwischen anfühlt wie ein zweites Zuhause, einer Mischung aus Eckkneipe und Wohnzimmer, da wo man hingehen kann, wenn man reden will, da wo man Freunde trifft, das klingt zwar ein bisschen kitschig, aber es ist genau so gemeint. Ich sitze an einem kleinen Tisch auf dem schiefen Kopfsteinpflaster-Bürgersteig, den ich so liebe, trinke ein Rothaus Pils und finde, dass der Sommer nie vorbei gehen soll. Das klingt wie eine Zeile aus einem Lied von Tocotronic, ich hoffe, nicht alle Dinge die ich schreibe, klingen so. Das wäre seltsam. Und schlecht für die Karriere. Außer, ich sattele um auf Hamburger Schule. Ich sitze hier jedenfalls vor dem Damensalon und freue mich über den Sommer, ich bin heute schneller mit einem Projekt fertig geworden, als gedacht und habe plötzlich Zeit zu schreiben. „Macht er doch eh den ganzen Tag“, denken jetzt viele, und Recht haben sie. Ich schreibe den ganzen Tag. Von Morgens bis Abends.
Vor kurzem stand ein Bekannter bei mir im Büro, ich saß am Rechner und war irgendwo in Szene Zwölf, und der Bekannte sagte: „Sorry, kann ich kurz was fragen?“ Ein Semikolon pausierte die Situation, ich war sicher, es ging um die Kaffeemaschine oder den Hauptschlüssel fürs Büro. Doch ich irrte. Und ohne, dass der Bekannte es ahnte, traf mich seine Frage mitten ins Herz: „Ich hab ne super Idee für ne Serie. Wie geht denn das jetzt mit dem Schreiben? – Ich will auch gar nicht lange stören!“
Man kann jetzt lachen oder man kann den Bekannten raus schicken und sagen, man hat keine Zeit, man ist schließlich in Szene Zwölf. Man kann den Kopf schütteln über so eine doofe Frage oder sich lustig machen über Menschen, die offenbar glauben, das ist alles so leicht. Oder man bewundert – vielleicht sogar beneidet – den Bekannten für eine gewisse Naivität. Ich habe ihn nicht raus geschickt, ich habe versucht, ihm zu erklären, wie er weiter machen soll. Mit seiner Idee, die ich nach einem mündlichen Zwanzig-Sekunden-Pitch, von dem sich manche Kollegen eine Scheibe abschneiden könnten, ziemlich super fand. Nicht super finde ich Floskeln wie „eine Scheibe abschneiden“, und ich habe den Halbsatz nur deshalb nicht gelöscht, weil ich schon beim Schreiben darüber nachgedacht habe, die Floskel zu kommentieren, was ich hiermit tat. Da stand er also, der Bekannte, mit leuchtenden Augen, weil er so überzeugt war von seiner Idee, dass es eine Freude war. Welchem Sender er die Serie denn anbieten wolle, erkundigte ich mich nicht ohne Mitgefühl – denn irgendwie sah ich in ihm auch ein bisschen mein junges Ich. Und ich weiß noch sehr gut, wie es sich anfühlt, wenn der Sender die eigene Idee nicht versteht. Beim Wort Sender lachte der Bekannte nur müde, das spart er sich, er dreht den Piloten natürlich selbst.
Szene Zwölf ist an dem Tag nicht mehr fertig geworden, dazu war ich zu sehr in Gedanken. In Gedanken an Fernsehland. Ich habe auch schon mal einen Piloten selber gedreht. Für eine Serie, von der ich so überzeugt war, dass meine Augen geleuchtet haben wie die von dem Bekannten in meinem Büro. Das ist viele Jahre her, die Serie wurde bis heute nicht realisiert, obwohl sie gerade wieder – in modernisierter Form – bei einem relevanten Sender auf dem Schreibtisch liegt. Ich weiß, dass die Serie irgendwann läuft. Vielleicht auf einem anderen Sender, weil dieser wieder einknickt. Vielleicht im Netz, das weiß ich nicht. Und es ist auch nicht wichtig, wichtig ist die Idee. Denn manchmal, wenn alles passt. Wenn man Mitstreiter findet mit der selben Vision. Die dir Vertrauen schenken und den Rücken stärken – dann kann etwas magisches passieren. Das können große Momente sein oder kleine. Im Writer’s Room, beim Sender oder am Set. Es sind Momente, die alles verändern. Der Pathos droht, das ist mir klar, und Tocotronic würde singen „es ist eine große Besonderheit“, aber was ich meine ist simpel: Wenn alles zusammen kommt und am Ende besser funktioniert, als jemals gedacht, dann weiß man plötzlich wieder, warum man tut was man tut. Bei allen Konflikten und Kompromissen, die meine Arbeit mit sich bringt, habe ich diese Momente trotzdem. Und dafür liebe ich meinen Job. Bald läuft eine neue Serie von mir. Erst im Netz und dann im Fernsehen. Hier war der Sender von Anfang an begeistert, es waren andere Kräfte, die verhindert haben, dass Magie entstand: Ego und Angst. Aber auch das sind Bewohner dieser Branche, die sich gerade so rapide verändert, dass einem manchmal schwindlig wird. Möglicherweise ist Schwindel-Auslöser auch das inzwischen fünfte Rothaus Pils, das auf meinem Tisch vor dem „Damensalon“ steht. Man weiß es nicht.
Auf dem Kopfsteinpflaster gehen Menschen an mir vorbei, die vielleicht Tocotronic hören, wenn sie zu Hause sind. Ein Google-Alert hat mich gerade daran erinnert, dass am 7. August eine „SOKO Leipzig“ Folge von mir wiederholt wird, die ihre Erstausstrahlung ungefähr zu der Zeit hatte, als diese Seite online ging. Das ist lange her, die Zeit verfliegt – und erinnert mich daran, nie stehen zu bleiben. Wiederholungen sind gut für’s Konto – wenn die Folge kein Buyout war. Aber sie können auch eine Erinnerung sein: Daran, nicht aufzuhören, neue Dinge zu tun.
Projekte, bei denen die Augen leuchten.